Alle Beiträge von Robert Korbei

Europa unter Volksbefragung

Europa wird von direkter Demokratie erschüttert. Wolfgang Müller-Funk zählt in seinem Kommentar im Standard die Ergebnisse der letzten Monate auf: Brexit, Ceta-Befragung, bosnisch-serbischer Feiertag und die ungarische Abstimmung für einen härteren Umgang mit Flüchtlingen.

Wieder einmal wird hier der wichtige Grundsatz verletzt, dass es weniger zählt was man tut, sondern warum man es tut.  Als ob es die Ursache unserer Problemen wäre, dass wir EuropäerInnen uns ständig verwählen würden.

Besonders problematisch sind zwei Argumente:

Erstens die Gegenüberstellung von direkter Demokratie als polarisierend und anfällig für radikale und einfache Pseudolösungen auf der einen Seite. Dagegen steht auf der anderen Seite die repräsentative, vernünftige und reife Demokratie. Gewürzt mit einigen Beispielen aus der faschistischen Vergangenheit entsteht der Eindruck, dass Partizipation vor allem der direkte Weg in den Abgrund ist.

Ausgeblendet wird, dass es ebenso Beispiele für repräsentative Wahlen gibt, die, historisch geklärt, zu Katastrophen benutzt wurden.  Und es war die politische Realität nach 1945 in Europa, die uns hierher gebracht hat. Nicht die Volksabstimmungen des Jahres 2016.

Wem Demokratie ein Amt gibt, dem gibt sie Verstand?

Zweitens: Eher als Nebenbemerkung die Beschwerde, dass nur „… rund 15.000 Personen darüber entscheiden, ob Österreich den Vertrag unterzeichnet oder nicht, …“

Na, immerhin waren es 15.000. Natürlich stimmen die Argumente, die in der CETA -Befragung ein leicht durchschaubares Manöver sehen.  Aber siehe Grundsatz weiter oben. Würden wir noch in den 70ern leben hätte sich Kanzler Kern wohl vor die Kameras gestellt und gegrummelt:“ Mir bereiten die Österreichischen Arbeitsplätze mehr Sorgen als die paar Kommentare von meinen Staatschef-Kollegen“.

Viel nötiger als eine Debatte über das Werkzeug Partizipation wäre eine über die Frage, welcher politischer Weg uns EuropäerInnen wieder für ein konstruktives Projekt gewinnt.

Die dunkle Seite der BürgerInnenbeteiligung

Thomas Wagner hat ein Buch mit dem Titel „Die Mitmachfalle“ geschrieben. Der Untertitel „Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument“ beschreibt ganz gut, worum es auf den knapp 160 Seiten geht.

Wagner sieht ein große Problem im Rahmen von Beteiligungsprozessen: Sie sind nicht nur keine Revolution, sondern tragen eher aktiv dazu bei, dass gar  keine stattfinden. Über diesen Befund kann man auch gar nicht streiten. Über die Frage, ob das Ziel die Revolution ist oder eher eine Veränderung des bestehenden Systems, schon viel eher. Obwohl das eine wichtige Frage ist, die jede und jeder für sich beantworten muss, soll es hier darum aber nicht gehen.

Wobei man das Buch schon alleine für die Beispiele, wie große Konzerne Beteiligungsprozesse für ihr Marketing ausnutzen, lesen sollte.

Boboprozesse

Ein zweiter Kritikpunkt der in „Die Mitmachfalle“ geäußert wird lautet so: Da Beteiligungsprozesse Ressourcen brauchen, nehmen eher Menschen mit Ressourcen daran teil und sind die Ergebnisse daher eher für Menschen mit Ressourcen günstig. Das mag auf den ersten Blick banal erscheinen, oder sogar gerecht. Auf den zweiten Blick wird aber klar, dass damit so manches Problem eher verstärkt wird als gelöst.

So erzählt Wagner mit Beispielen aus Berlin  wie Beteiligungsprozesse ein erstes Zeichen, wenn nicht sogar Teil der Ursache dafür sind, dass am Ende der Geschichte Stadtteile für einige BewohnerInnen nicht mehr leistbar sind. Stichwort Gentrifizierung.

Dabei sein ist alles

Es ist Ziel jedes Beteiligungsprozesses alle Betroffenen Bevölkerungsgruppen einzubinden.  Betroffenheit darf aber nicht dadurch definiert sein, dass ich mich als Betroffene melde. Noch wichtiger ist es, die ausreichende Einbindung aller Sichtweisen  im Laufe der Entscheidungen immer fest im Blick zu haben. Wahrscheinlich ist das eine der schwierigsten Aufgaben für die Leitung und Steuerung von Beteiligungsprozessen. Denn die Einbindung von Menschen bedeutet immer den langen Weg zu gehen.

Wo doch der kurze lockt: Sie ist stark, die dunkle Seite der BürgerInnenbeteiligung.

15 Jahre Aarhus – ja, dürfen die das?

Letzten Freitag luden Arbeiterkammer, Ökobüro und Wiener Umweltanwaltschaft zu einem Symposium „15 Jahre Aarhus-Konvention. Wo stehen wir?“

Die Aarhus-Konvention wird zu Recht als ein wichtiges Dokument für die Verankerung von Partizipation gesehen, auch wenn damit nicht die Rechte einzelner BürgerInnen gestärkt werden. Ich staune ja immer wieder über das dabei verankerte Convention Compliance Commitee. Irgenwie habe ich dabei das Gefühl, dass damals ein paar Leute glücklicherweise nicht so genau aufgepasst haben und die Konvention unterzeichnet wurde.

Das Österreichische Amtsgeheimnis  tut sich schwer damit Informationen an Betroffene zu geben.  In Ihren  Redebeiträgen haben  Verena Madner und Thomas Alge am Freitag klar gezeigt, dass in Österreich der Umgang mit den Grundsätzen der Konvention immer noch vom „Ja dürfen die das?“ gekennzeichnet wird.

Ganz streng genommen können Behörden nämlich eine Anfrage nach Umweltinformation einfach aussitzen. Einfach weil es keinen wirklichen Mechanismus gibt um sie zu zwingen.  Und auch niemanden den man zu einer „Ersatzvornahme“ veranlassen könnte.

Die Durchsetzung der Durchsetzung steht also noch an. Aber zum Glück kümmert sich mein Europa auch in Zeiten in denen andere, schwierige Entscheidungen anstehen um langfristig wichtige Themen. Wenn die Umsetzung der Aarhus-Konvention in Österreich so bleibt, wird das angesprochenen Compliance Commitee  in absehbarer Zeit dazu eine Stellungnahme abgeben. Darauf kann man hoffen.

Das wird interessant

Am 24. April 2016 geht endlich die demokratische Phase zu Ende die sich nach dem 2. Weltkrieg etabliert hat. Seit 70 Jahren sind wir zur Wahl gegangen und hatten danach eigentlich das Gleiche wie vorher. Zwei Mal hat es so ausgesehen, als würde eine Wahl etwas ändern. Aber die absolute Mehrheit der SPÖ in den 70ern war eher der Höhepunkt dieses politischen Systems als ein Ausreißer. Schwarz Blau zur Jahrtausendwende allerdings kann man als Vorboten sehen.

Der neue Bundespräsident
Die kommende Bundespräsidentenwahl ist die erste Wahl bei der es nicht selbstverständlich ist, dass danach jemand von SPÖ oder ÖVP Erster wird und, in diesem Fall, dann auch den Job bekommt. Das wird ab jetzt dann immer so sein. Rückfälle sind natürlich nicht auszuschließen, aber dann als Teil eines politischen Wechselspiels.

Das kann man jetzt gut oder schlecht finden. Eines können wir aber hoffen: Die Beteiligung an Demokratie wird damit steigen. Das wird interessant. Wahrscheinlich kompliziert. Sicher auch mindestens zeitweise frustrierend. Ganz sicher anstrengend. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass wir in Zukunft Demokratie als wichtigen Teil einer solidarischen Gesellschaft auch werden verteidigen müssen.

Lasst sie doch reden

In regelmäßigen Abständen werden wir belehrt:“Die erste Regel der Moderation ist: Gib das Mikrofon nicht aus der Hand“. Die Idee dahinter ist klar: Keine langen Redebeiträge, die praktisch alle anderen langweilen und nur zu oft eher unklar sind. Stimmt auch.

Aber ich finde, da ist man dann selber schuld, wenn man das einer-redet,-alle-hören-zu-oder-weg,-die-meisten-kommen-nicht-zu-Wort-Plenum als Moderationsmethode wählt.
Dabei gibt es genügend Methoden, die davon leben, dass viele gleichzeitig reden. Die dafür sorgen, dass auch alle gleichmäßig zu Wort kommen. Und es gibt sogar zumindest eine Methode, bei der alle gleichzeitig reden: die Aufstellung. Nicht zu verwechseln mit Aufstellungsarbeit, bildet man hier Gradienten im Raum. Und weil der Raum drei Dimensionen hat, kann man da auch ein bisschen komplex werden:

Alle nach links, die „hurra“ für das Projekt und und rechts wer „sicher nicht“ dagegen ist.
Bitte nach vorne wer die Untelagen auswendig kann und eher nach hinten wer sich noch nie damit befasst hat.
Sitzen soll wer diesem Beteiligungsprojekt voll vertraut, am Sessel stehen, wer voll Mistrauen gekommen ist.

Das wunderschöne daran: nach den eingenommenen Positionen kann man dann Gruppen bilden, die entweder extra homogen sind oder auch extra gemischt.

Möglichkeit für Plenas gibt es noch genug

Goldene Zeiten der Sache des Volkes?

Von 25. bis 26 Juni hat im Tech Gate auf der Platte ein/der Partizipationkongress stattgefunden. Getragen von Stadträtin Maria Vassilakou und organisiert von Europaforum Wien, gab es über zwei Tage Vorträge und Workshops.

Gleich am ersten Vormittag spannte Bruno Kaufmann, seit 2011 Mitglied der Stadtexekutive von Falun/Schweden mit besonderer Verantwortung für Wahl- und Bürgerbeteiligungsfragen, einen Bogen von Perikles über die französische Revolution hin zur Bürgerbeteiligung heute. Dabei ging er der Frage nach welche Stellung Partizipation in den europäischen Demokratie haben soll und welche Voraussetzungen es dafür braucht. Stichwort Demokratieinfrastruktur und Demokratiepass.

Dieser Vortrag macht klar, in welch zerrissenen Zeiten wir leben. Auf der einen Seite haben wir so viel Bürgerbeteiligung wie selten oder nie zuvor. Auf europäischer Ebene sind weitreichende Gesetze verankert, auch wenn die Implementierung in Österreich noch deutlich hinterherhinkt, wie zum Beispiel bei der Aarhus-Konvention.

Auf der anderen Seite erlebt das politische System, organisiert in Wahl-Demokratien gerade einen Tiefpunkt nach dem anderen. Zwar gehen beide Seiten von der Macht der Beteiligten aus. Aber das parteipolitische System endet zunehmend in einer populistischen Politik. Oder eigentlich genau genommen in gar keiner Politik mehr. Die Sache des Volkes ist das nicht.

Was ist die Konsequenz daraus? Das Gute fördern in dem mehr und verlässlich beteiligt wird. Und das Schlechte zurückdrängen? Nationalstaaten abschaffen, Wahlen ignorieren, Vor-Ort-Projekte umsetzen und um Europa streiten? Klingt eigentlich gar nicht so schlecht, aber eigentlich hätte ich noch die Sehnsucht die Parlaments-Parteien-National-Demokratie mit Beteiligung, den Menschen und sich selbst zu versöhnen.